Jeden Tag, bei jedem Wetter sieht man ihn am Parkplatz aus dem Auto aussteigen und zielstrebig in unser Heim kommen, er ist immer freundlich, immer hilfsbereit, immer schick angezogen. Jeder der hier lebt oder arbeitet, kennt und schätzt ihn. „Ach, unser Herr Schubert, der gehört doch schon zur Familie!“ lacht Schwester Maria von der Pflegestation 3.
„Schwester Maria hat mich neulich heimgeschickt, als ich nach einem Sturz humpelnd auf der Station auftauchte,“ erzählt Herr Schubert (88 Jahre) mit einem Augenzwinkern. Er fühlt sich wohl bei uns und weiß seine Betty auf der Pflegestation 3, gut aufgehoben. Denn nur wegen ihr, seiner großen Liebe, ist er hier. Wenn er dann wirklich einmal verhindert ist, dann kommt eines der Kinder und besucht die Mutter. „Wir halten alle immer zusammen, dass hat uns stark gemacht;“ so Herr Schubert.
Barbara (liebevoll Betty genannt) Schubert hat Alzheimer Stufe 3, eine Krankheit, die für alle schwer ist, für den Patienten selber, aber auch für die Angehörigen.
Das ist die eine Seite, aber sie hat auch einen Mann, der ein Ehegelübde lebt:
„Zu Lieben, in guten, wie in schlechten Tagen.“
Verwundert sieht er mich an, als ich ihn frage, wie er es schafft jeden Tag seine Frau zu besuchen, schließlich hat er noch ein Haus und andere Verpflichtungen, um die er sich kümmern muss.
Seine Antwort: „Wieso, ich habe doch ewige Liebe geschworen, nicht nur ein paar Tage! Ich muss doch wissen, wie es ihr geht!“
Akribisch hat er den gesamten Krankheitsverlauf protokolliert, jede Rechnung aufgehoben und auch gekämpft für die Rechte seiner Frau.
Dabei gab es Menschen, die die junge Betty warnten vor dem 15 Jahre älteren Mann, als sie sich ineinander verliebten. Da hat die junge, hübsche Frau nur gelacht. Für sie gab es keinen Zweifel an der Wahl ihres Mannes.
Und – er hat ihr Zeit gelassen. „Wir haben uns richtig gut verstanden, jeder hat dem anderen geholfen!“ erzählt Herr Schubert.
Kennengelernt haben sie sich an seinem Arbeitsplatz, Rudolf Schubert war Busfahrer bei der Firma Kohler in Höchstadt, seine Frau Betty fuhr mit ihrer Mutter in die Berufsschule. Sie machte dort die Ausbildung zur Näherin. Ihm gefiel ihre ruhige, freundliche Art und – immer stand sie von ihrem Klappsitz im Bus auf, wenn jemand anderer einen Sitzplatz brauchte.
Beide hatten zu diesem Zeitpunkt schon harte Zeiten hinter sich, auch der Krieg war an ihnen nicht spurlos vorbei gegangen. Rudolf Schubert, ein passionierter Flieger, war Fluglehrer und Testpilot gewesen. Sowohl die 1-motorige ME 109, als auch die 6-motorigen Messerschmidt 363, damals das größte Transportflugzeug der Welt, ist er geflogen und hat dabei sein Leben riskiert.
Da er nach dem Krieg nicht mehr fliegen durfte, beschloss er nach Franken zu ziehen, da seine Schwester nach Schwarzenbach gezogen war. Betty Schubert hat im Krieg ihren Vater verloren und ihre Mutter baute gerade eine Existenzgrundlage mit einem kleinen Geschäft auf. Herr Schubert kam bei Bauer Kühnlein unter, konnte dort, gegen Mitarbeit umsonst wohnen und hat bis heute den Kontakt dorthin nicht verloren.
So trafen sie sich zum ersten Mal, die 13-jährige Betty und der gutaussehende Busfahrer Rudolf.
Gerne half er der Mutter, Maria Maid, bei der einen oder anderen Arbeit, dafür war er ein gerngesehener Gast bei der kleinen Familie und verbrachte dort alle Familienfeste.
Nach all den Wirren der vergangenen Jahre kam so langsam endlich etwas wie Ruhe in das Leben dieser drei Menschen und irgendwann nach ein paar Jahren verliebten sich Rudolf und Betty ineinander. Sie bekamen drei Kinder, stritten nicht, haben alles ausgeredet. Er schwärmt von seiner Frau noch immer, sie ließ ihm die Freiheit, die er brauchte, kümmerte sich um alle häuslichen Angelegenheiten. Als Herr Schubert sagt: „Ich war nur der Geldgeber!“ – bin ich unsicher, ob er das als Vorwurf sieht, aber weit gefehlt. Er ist froh, dass Betty die Haushaltskasse verwaltet und ihm damit entlastet.
Oft hat er sie auch mitgenommen auf seinen Busreisen durch Europa. Zusammen haben sie sich die Welt angeschaut. Zusammen haben sie ihre Kinder großgezogen. Zusammen werden sie jetzt auch älter.
Denn während Herr Schubert erzählt, sitzt er neben seiner Frau und wenn ihm manchmal etwas nicht einfällt, dann sagt er: „Mensch Betty, wann war das wieder?“ und auch wenn sie kaum mehr reagiert, fällt es ihm das Vergessene plötzlich ein. Vielleicht ist diese Liebe größer, als die Krankheit Alzheimer Stufe 3. Nein, nicht vielleicht. Diese Liebe ist größer.
Kommentar:
„Ewige Liebe“, „Zusammenhalt, der stark macht“
Sätze, die in der heutigen Zeit schwer über die Lippen kommen. Sätze, die mir schwer fallen aufzuschreiben. Vielleicht nicht nur in der heutigen Zeit. Ich bin skeptisch, als ich Herrn Schubert kennenlerne. Aber seine Hartnäckigkeit macht mich neugierig. Ich will mehr wissen von dem Mann, der immer freundlich lächelt, wenn sich unsere Blicke streifen, der zwei Stunden neben seiner Frau sitzt und ihre Hand hält. Bereitwillig erzählt er aus ihrem gemeinsamen Leben, bereitwillig gibt er Informationen, die ein ganzes Buch füllen würden. Ich erfahre auch etwas über schwierige Zeiten im Leben von Betty und Rudolf Schubert. Ja, beide haben auch schwere Zeiten erlebt, aber jeder war immer für den anderen da.
Allein mir fehlt der Glaube. Ich werde eines besseren belehrt. Immer wieder treffe ich auf Zufälle, die mir seine Geschichte bestätigen. Hilde Laubner, die mich wegen einer Inspektion meines Autos freundlicherweise zum Heim fährt, erkennt Herrn Schubert sofort, als wir ihn zufällig sehen und sagt: „Das war ein ganz toller Busfahrer, die Kinder waren immer bestens bei ihm aufgehoben.“ Oder unsere allmonatliche Geburtstagsfeier, wo er dafür gesorgt hat, dass seine Betty schönen Schmuck trägt, wo die zwei Töchter neben ihm und ihrer Mutter sitzen und jeder sehen kann, dass hier eine Familie ist, die sich versteht und eine Betty Schubert, die ein Lächeln im Gesicht trägt. Niemand weiss genau, was jemand mit der Diagnose Alzheimer Stufe 3 noch realisiert, aber eines der wenigen Dinge, die man weiß, ist, dass die Intuition sehr gut ausgebildet ist. Und Liebe bracht keine Worte, Liebe ist zuallererst einmal ein Gefühl.
Stefanie Liebl
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